Kolibris haben einen langen Schnabel, weil Blumen lange Kelche haben. Doch der Umkehrschluss stimmt auch: Vogelbestäubung verändert die Vögel und die Blumen.
Koevolution: Gegenseitige Anpassung der Natur
Manchmal muss man in verschiedene Richtungen denken. Zum Beispiel in Sachen Evolution: Dass Kolibris ihren langen Schnabel Blütenkelchen angepasst haben, leuchtet uns allen ein, keine Frage. Aber hättet ihr gedacht, dass vice versa Blumen ihre Blütenkelche auch den Vögeln angepasst haben? Die Idee kommt uns zunächst nicht, ist aber genauso zutreffend.
Die Bestäubung von Blumen ist ein glänzendes Beispiel für die sogenannte Koevolution: die wechselseitige Anpassung verschiedener Arten aneinander. Das Interessante ist aber, dass Vögel zu einem gewissen Grad so bleiben, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist; die Blumen sind es, die sich stärker und schneller anpassen. Denn für die Pflanzen steht die Bestäubung, und somit die Fortpflanzung auf dem Spiel.
Vögel und Fledermäuse im Dienste der Bestäubung
Blumen sind bei ihren Zulieferdiensten nicht wählerisch: Bienen, Fliegen, Käfer, Vögel, Fledermäuse – eigentlich alles, was fliegt – wird zur Bestäubung rekrutiert. Indem sie sich auf einen Bestäuber spezialisieren, treffen die Blumen eine riskante evolutionäre Entscheidung. Wenn sie Größe, Form, Farbe, Geruch und Nektar an eine bestimmte Spezies anpassen, sind sie auch von ihr abhängig. Der Vorteil der spezialisierten Bestäubung ist hingegen, dass der Pollentransport so perfektioniert werden kann. Der Biologe Nathan Muchhala von der Universität Miami hat bei Tests herausgefunden, dass den Blumen mit dem falschen Bestäuber viel Pollen verloren gehen. Die Bestäubung ist dann weniger effektiv als wenn sie mit dem richtigen Pollenträger stattfindet.
Anpassung an Bestäubung durch Vögel und Fledermäuse
In Europa werden Blumen in der Regel von Insekten bestäubt. Doch das ist nicht überall so: Auf den anderen Kontinenten sind auch Vögel und Fledermäuse häufig als Pollenträger tätig. Daher haben dort Vogelschnäbel und Fledermausschnauzen Blütenkelche in den vergangen Evolutionsepochen geformt.
Fledermaus-bestäubte Blumen haben einen auffälligen, oft schwefelhaltigen Duft und blühen meist nachts. Die Blütenkelche sind groß und weit geöffnet. Da Fledermäuse ein gutes Ortsgedächtnis haben, öffnen Fledermausblumen immer wieder dieselbe Blüte an derselben Pflanze. Außerdem geben diese Blumen ein ganz besonderes Echo ab, an dem sich die Fledermäuse orientieren können.
Auch vogel-bestäubte Blumen sind groß und robust. Oft haben sie Kelche oder Röhren, in denen der Nektar aufbewahrt wird. Mit ihren leuchtenden Farben locken sie Vögel an. Duft haben sie jedoch kaum, da der Geruchssinn bei Vögeln verkümmert ist. Die wichtigsten Blumenvögel sind die Kolibris, daneben gibt es noch die Familien der Nektarvögel und der Honigfresser. Sie alle zeichnen sich durch einen relativ langen Schnabel, eine lange Zunge und gute Zuckerverträglichkeit aus. Den Pollen übertragen die Blumenvögel meistens mit dem Kopf, manchmal aber auch mit anderen Körperteilen wie den Füßen.
Wenn ihr auch selbst einmal eine Bestäubung durch Vögel beobachten wollt, lohnt sich ein Urlaub auf den Kanaren. Mit der Kanaren-Glockenblume gibt es dort nämlich die einzige Vogel-bestäubte Blume Euopas. Die ursprünglichen Bestäuber dieses Relikts sind vermutlich in der letzten Eiszeit ausgestorben; heute bernimmt diese Aufgabe netterweise der Zilpzalp.
>> Auf Nathan Muchhalas Website könnt ihr euch Bilder von bestäubenden Fledermäusen ansehen.
>> Blumenbestäuber wie Bienen verschwinden seit Ende des letzten Jahrhunderts. Mehr zum Bienensterben erfahrt ihr bei der Initiative „Deutschland summt“.
Foto: marksontok (Lizenz: CC BY 2.0) / flickr.com