In Georgien, zwischen der Küste des schwarzen Meeres und den Felshängen des Kaukasus, entfaltet sich jedes Jahr ein atemberaubendes Naturspektakel: über eine Million Greifvögel passieren die Stelle auf ihrem Herbstzug und machen den Himmel über der Küstenstadt Batumi zum Paradies für Vogelliebhaber.
Beim Frühstück ist es noch dunkel. Eine halbe Stunde mit dem Auto und nochmal einige Minuten Fußweg, um die Beobachtungsstation in den Bergen zu erreichen. Die Fotoausrüstungen werden aufgebaut, der Himmel in Sektoren aufgeteilt. Funkkontakt zur zweiten Station ist da. Die ersten Vögel sind schon zu sehen und können noch problemlos gezählt werden. Und dann, gegen 11 Uhr, passiert es. Tausende Greifvögel tauchen vor der spektakulären Kulisse des Kaukasus auf, in wenigen Minuten werden an die 5 000 Exemplare gezählt. Überwältigtes Schweigen.
Greifvogelparadies Batumi
Dieses Szenario spielt sich alljährlich bei den Greifvogelzählungen in Batumi ab, die der Batumi Raptor Count (BRC) seit 2008 organisiert. Die Besucher kommen aus allen Teilen Europas und werden von den ehrenamtlichen Helfern betreut. Im Oktober 2014 konnten an einem einzigen Tag mehr als 260 000 Greifvögel gezählt werden, die höchste je dokumentierte Konzentration in Eurasien. Was aber ist der Grund für diese außergewöhnliche Zahl an Greifvögeln, die so viele Ornithologen und Naturfreunde anzieht?
Beginnen wir bei den Wespen- und Mäusebussarden. Die imposanten Vögel fliegen am liebsten mit Hilfe von Thermiken. Das sind Aufwinde, die dann entstehen, wenn die Luft über Landflächen von der Sonne erwärmt wird. Über dem Kleinen Kaukasus allerdings entstehen neben Aufwinden auch dichte Wolken, die von Vögeln nach Möglichkeit gemieden werden. Zu diesem Zweck folgen sie lieber den Küstenlinien der Meere, in unserem Fall der Küste des schwarzen Meeres. Die Vögel müssen also zwischen den Felswänden des Kaukasus und dem schwarzen Meer hindurch fliegen (dieses Phänomen wird auch Zugtrichter oder Flaschenhals genannt). Und auf diesem Weg überfliegen sie genau die Küstenstadt Batumi.
Insgesamt wurden schon 34 Greifvogelarten gesichtet. Es können neben Wespen- und Mäusebussarden auch Weihen wie die Steppen- und Wiesenweihe und Adler (Schrei-, Kaiser-, Zwergadler …) sowie Falken (Turm-, Rötel-, Wander-, Baumfalken …) beobachtet werden. Eine Besonderheit sind die seltenen Rotfuß- und Würgfalken.
Illegaler Abschuss: eine große Bedrohung
Allerdings wissen die Einheimischen Georgiens den Greifvogelzug längst nicht so zu schätzen wie die Vogelbeobachter. Die schönen Tiere werden in großer Zahl illegal abgeschossen, allein in Batumi sterben 10.000 pro Jahr. Laut einer Befragung durch den BRC sind die meisten Jäger Einheimische und betrachten die Vögel vor allem als Nahrungsquelle. Fleisch ist auf dem Markt nur teuer zu bekommen. Eine andere Fraktion der Jäger gab an, die Greifvögel aus Vergnügen abzuschießen. Vor allem Wespen- und Falkenbussarde geraten ins Visier, Steppen- und Wiesenweihe sind durch den illegalen Abschuss in großer Gefahr.
Der Batumi Raptor Count macht es sich nun schon seit einigen Jahren zur Aufgabe, die Einstellung der Bevölkerung zur Greifvogeljagd zu ändern und eine alternative Einnahmequelle zu bieten. Warum das nicht mit dem Tourismus verbinden? Gesagt, getan. Georgische Familien werden in die Unterbringung und Betreuung der Vogelbeobachter mit einbezogen und profitieren davon auch finanziell. Die begeisterten Vogelfans sind am besten geeignet, um den Einheimischen vor Augen zu führen, welches Naturwunder jedes Jahr über ihre Dächer zieht.
Durch Schulungen für die Lehrer und Unterrichtsmaterial in georgischer Sprache soll der nächsten Generation ein positives Verhältnis zu den Greifvögeln anerzogen werden. Die Schüler besuchen die Beobachtungsstationen und erfahren dort die Faszination der Vogelbeobachtung. Je erfolgreicher der Vogeltourismus läuft, desto mehr Verständnis bauen die georgischen Familien auf. Bis die illegale Jagd völlig gestoppt werden kann, ist es zwar noch ein langer Weg, aber die Grundsteine für ein friedliches Miteinander von Menschen und Vögeln liegen schon bereit.
Foto: Lip Kee (Lizenz: CC BY 2.0 – Bildausschnitt vom Original geändert) / flickr.com