Einst war der Bartgeier der König der Alpen. Der riesige Greifvogel zog seine Kreise zwischen den schneebedeckten Gipfeln der Berge und machte Jagd auf andere Tiere. Doch die Menschen verteufelten den Bartgeier zunehmend und gegen Ende des 20. Jahrhunderts gab es keinen einzigen Vogel mehr in der Region. Das änderte sich in den 1970er Jahren, als eine Auswilderung des majestätischen Vogels erstmals diskutiert wurde. 50 Jahre später gibt es wieder Brutpaare in den Alpen und auch Deutschland leistet seinen Beitrag zu seiner Wiederansiedlung. In unseren neuen Artikel schauen wir uns die Geschichte der Bartgeier gemeinsam an und stellen das erfolgreiche Auswilderungsprogramm vor.
Der Mensch und der Bartgeier – eine schwierige Geschichte
Mit einer Flügelspannweite von 2,9 Metern ist der Bartgeier einer der größten flugfähigen Vögel der Welt. Kein Wunder, dass die Menschen den Vogel nicht nur mit Ehrfurcht bestaunten, sondern sich auch vor ihm fürchteten. Besonders in den Schweizer Alpen kursierten viele Schauergeschichten über den Bartgeier. So soll er mehrmals Kinder entführt oder vor den Augen der Eltern in den Abgrund gestürzt haben. Auch Lämmer standen angeblich auf seinem Speiseplan, weswegen der Vogel auch im Volksmund Lämmergeier genannt wurde. Trotz der Tatsache, dass sich der Bartgeier fast ausschließlich von Aas ernährt, wurde er von den Menschen als Bedrohung wahrgenommen.
Als Folge dieser Wahrnehmung wurde der Bartgeier intensiv bejagt und seine Nester zerstört. Es wurden gar Prämien für jeden erlegten Vogel vom Landesfürsten ausgezahlt. In weniger als 100 Jahren wurde die gesamte Population in den Alpen ausgerottet. In den 1970er Jahren debattierten Umweltschützer in der Schweiz erste Ideen zur Auswilderung von Bartgeiern in den Alpenregionen. Der einst verhasste Vogel sollte wieder Teil der alpinen Tierwelt werden.
Wiederansiedlung der Bartgeier
Die ersten Versuche, einen Bartgeier aus Afghanistan in den Alpen anzusiedeln, scheiterten. Nach intensiver Forschung, die vor allem nach einem geeigneten Standort für die Auswilderung suchte, wurde 1985 das Europäische Erhaltungszuchtprogramm (EEP) ins Leben gerufen. Ziel dieser Vereinigung ist der Erhalt der natürlichen Artenvielfalt. Spezialisierte Zoos und Zuchtprogramme sollen bedrohte oder bereits ausgerottete Tiere wieder in der freien Natur ansiedeln. Für den Bartgeier haben sich circa 40 Zoos und Zuchteinrichtungen zusammengeschlossen, welche die sogenannte “Hacking-Methode” nutzen, um die Bartgeier erfolgreich auszuwildern. Dabei werden 3 Monate alte Jungtiere in extra vorbereitete Auswilderungsnischen gebracht. Bei der Auswilderungsnische handelt es sich um einen natürlichen Felsvorsprung der von einem Zaun umgeben wird. So entsteht ein großes Freilaufgehege, in dem die Vögel die erste Zeit in freier Natur verbringen. Da die Jungtiere noch nicht selbst fliegen können, werden sie anfangs von Experten gefüttert. Sobald die Vögel ihre Flugfähigkeit erlangt haben, wird die Nische geöffnet und die Bartgeier können selbst auf Nahrungssuche gehen.
Die Hacking-Methode erwies sich als sehr erfolgreich und die ausgesetzten Bartgeier haben eine Überlebenschance von über 70 %. Besonders gut verläuft das Programm in der österreichischen Bergregion Hohen Tauern. Seit 1986 wurden hier 116 Bartgeier ausgewildert. Inzwischen hat sich der Bestand so erholt, dass erstmals wieder in Freiheit geborene Bartgeier in den österreichischen Alpen leben. Auch in der Schweiz gibt es seit über 100 Jahren wieder wilde Bartgeier. Heute leben schätzungsweise 330 der Greifvögel im gesamten Alpenraum.
Die Bartgeier Sisi und Nepomuk
Nach einem langwierigen Untersuchungsprozess wurden vor 2 Jahren auch in Deutschland Bartgeier ausgewildert. Die Berchtesgadener Alpen wurden dafür als idealer Ort gewählt, denn die Bergregionen bieten dem Greifvogel einen optimalen Lebensraum. Ob hier früher ein natürliches Brutrevier des Bartgeiers war, ist ungewiss. Zumindest hängt in der berühmten St. Bartholomäus Kirche am Königssee ein Gemälde des Bartgeiers, was die Existenz des Vogels auch in dieser Region nahelegt. Seit 2021 werden jedes Jahr zwei Bartgeier aus den verschiedenen Zoos und Stationen in den Berchtesgadener Alpen ausgesetzt.
In diesem Jahr haben die Bartgeier Sisi und Nepomuk das Glück, wieder in freier Natur leben zu können. Mit Spannung wurde ihr erster groß ausgelegter Ausflug über die Alpen verfolgt. Ihr Ziel: der Nationalpark Hohen Tauern, wo sich bereits viele Artgenossen der beiden tummeln. Auf der Webseite des Landesbunds für Vogel- und Naturschutz Bayern könnt ihr die Route der beiden per GPS verfolgen. Die Bartgeier in Berchtesgarden haben sogar einen eigenen YouTube-Kanal, wo ihr das Leben der Vögel per Webcam live mit ansehen könnt. Solltet ihr bei einer Alpenwanderung selbst die ausgewilderten Bartgeier beobachten, freuen sich die örtlichen Vereine für die Auswilderung über jede gemeldete Sichtung.
2 Comments
Ich bin mir nicht sicher, aber: machte dieser Geier wirklich Jagd auf andere Tiere? Eigentlich sind Geier doch Aasfresser …
Hallo Kurt, nein, vermutlich machte der Bartgeier auch in der Vergangenheit keine Jagd auf Tiere, da er sich hauptsächlich von Aas ernährt. Die Einordnung des Vogels als gefährlichen Jäger trug auch zu seiner Verteufelung und Ausrottung bei. Grüße aus der Redaktion!