Der Bestandsrückgang des Austernfischers bereitet vielen Vogelfreunden Sorgen. Nicht nur in Deutschland, auch in den Niederlanden gibt es immer weniger „Halligstörche“. Doch welche Gründe hat diese dramatische Entwicklung?
Stets auf Muscheljagd
Sein Name lässt zwar auf eine besondere Vorliebe für Austern schließen, aber tatsächlich verspeist ein Austernfischer am liebsten Herz- und Miesmuscheln. Außerdem stehen Würmer ganz oben auf dem Speiseplan. Seine Beute holt der Watvogel mithilfe des kräftigen Schnabels aus dem Boden. Muscheln verschluckt er dann entweder im Ganzen oder hebelt sie mit dem Schnabel auf. Kein Wunder, dass die Schnabelspitze viel aushalten muss und etwa einen halben Millimeter pro Tag nachwächst.
Austernfischer brüten in Deutschland vor allem an der Nordseeküste und im Festland dahinter. Die Brutreviere befinden sich meist im steinigen Sand der Küsten oder in feuchten Salzwiesen. Daher gibt es auch für den Neststandort zwei Möglichkeiten. Manche Paare brüten in einer Felsenvertiefung am Wasser, andere suchen sich eine geschützte Mulde auf der Salzwiese. In den ersten Wochen nach dem Schlüpfen machen die Jungen ihre ersten Entdeckungen, dabei bekommen sie weiterhin Futter von den Eltern.
Deutschland und Niederlande besonders betroffen
Der Brutbestand in Deutschland wird auf etwa 25.000 bis 30.000 Paare geschätzt. Im Wattenmeer zwischen Dänemark und den Niederlanden verbringen außerdem etwa 500.000 Austernfischer jedes Jahr den Winter. Doch vor allem in den letzten beiden Jahrzehnten ist der Bestand stark zurückgegangen. Im schleswig-holsteinischen Wattenmeer gibt es nur noch halb so viele Brutpaare wie vor 20 Jahren. Auch in den Niederlanden hat sich ihre Zahl seit 1990 mehr als halbiert. Der europaweite Bestand betrug ursprünglich eine Million Tiere, nun sind es nur noch 600.000 bis 700.000. Das Resultat: Seit 2015 wird der Austernfischer auf der Vorwarnliste der weltweiten Roten Liste vom Aussterben bedrohter Vogelarten geführt.
Gefahr von beiden Seiten
Ein Grund für das Dilemma der Austernfischer findet sich in ihren Brutgebieten. Viele Salzwiesen in Niedersachsen und Schleswig-Holstein wurden von Menschenhand entwässert und sind daraufhin ausgetrocknet. In diesem Zustand kommen sie für viele Watvögel nicht mehr als Brutplätze infrage. Am Wattenmeer gab es in den letzten Jahrzehnten außerdem immer häufigere Überflutungen – zerstörte Nester und ertrunkene Jungvögel waren die Folge. Außerdem: Je öfter und länger eine Wattfläche überflutet wird, desto weniger Zeit haben die Austernfischer, dort nach Nahrung zu suchen.
Diese Bedrohungen veranlassen viele Paare, sich eher in Richtung Festland zurückzuziehen. Doch dort lauert die nächste Gefahr. Haarige Nesträuber wie Marder und Füchse machen die Gegend unsicher, plündern die kostbaren Gelege und schrauben den Bruterfolg noch weiter nach unten. So kommt es, dass immer mehr Austernfischer Schutz auf den Inseln und Halligen vor der Küste suchen.
Miese Muschelsituation
Leider sind Halligstorch und Co. nicht die Einzigen, die das Wattenmeer als Nahrungsquelle nutzen. Auch die Fischer holen jedes Jahr riesige Mengen Miesmuscheln aus dem Wasser, um sie zu verkaufen. Viele Muschelbänke sind bereits verschwunden. Beim Abfischen wird der Nährboden der Muscheln zerpflügt, so dass sie sich nur sehr langsam wieder ansiedeln können. Vögel wie Austernfischer oder Eiderenten finden darum oft nicht mehr genug Nahrung. Zumindest die Fischerei von Herzmuscheln ist in Deutschland und den Niederlanden mittlerweile verboten.
Doch die Miesmuscheln werden auch von der Natur selbst bedroht. Nachdem die Pazifische Auster in die Niederlande importiert wurde, vermehrte sie sich rasend schnell. Mittlerweile verdrängt sie sogar die Miesmuschel. Austernfischer können mit den von Austern überwucherten Muschelbänken oft nichts mehr anfangen. Doch die Vögel sind sehr lernfähig. So schafften es bereits einige von ihnen, kleinere Austern mit dem Schnabel aufzubrechen. Diese Fähigkeit werden sie hoffentlich an ihre Nachkommen weitergeben.
Bestandsrückgang des Austernfischers – Was muss sich verändern?
Der Bestandsrückgang des Austernfischers ist dramatisch, aber nicht unaufhaltsam. Um ihn zu stoppen, müssten beispielsweise die Salzwiesen schonender beweidet werden. Denn wo seltener Kühe weiden, ist das Gras höher und bietet mehr Nahrung in Form von Insekten, ganz zu schweigen von den vielen Versteckmöglichkeiten. Zumindest auf den Inseln und Halligen muss sicher sein, dass keine Beutegreifer vom Festland eindringen können. Und auch für die intensive Muschelfischerei sollte schnell eine Alternative gefunden werden. Wenn diese Bedingungen erfüllt sind, könnten der Halligstorch und andere Watvögel bald wieder etwas sorgloser durch ihr Revier streifen.