Während der Mensch sich immer weiter ausbreitet, schrumpfen die Rückzugsorte unserer Feld- und Wiesenvögel. Mit der Konsequenz, dass der Bestand von Kiebitz, Ammer und Kehlchen seit Jahren rückläufig ist. Forscher der Hochschule Rottenburg haben in Zusammenarbeit mit der Justus-Liebig Universität Gießen ein Projekt ins Leben gerufen, mit dem sie der Vogelwelt helfen wollen.
Ein Computerprogramm soll simulieren, welche Auswirkung die Bewirtschaftung von Land auf die Population von Kiebitz, Ammer und Braunkehlchen hat. Das ist ein großes Unterfangen, schließlich musste nicht nur der große Fundus an Messdaten der Vögel eingepflegt, sondern auch alle Feld- und Wiesenflächen deutschlandweit vermessen werden. Zunächst teilten die Forscher die abgemessenen Flächen in ein Raster von 25 mal 25 Metern ein. Jedes einzelne wurde mit den entsprechenden Variablen zur Nutzung, Topografie und Klima, versehen. Durch die Anlage, von zum Beispiel Hecken, kann es virtuell aufgewertet werden, sodass man einen Eindruck davon bekommt, wie das Gebiet künftig genutzt werden könnte.
Der Dachverband Deutscher Avifaunisten lieferte dazu die benötigten Bestandszahlen von 50 Vogelarten. Über die Zusammenführung dieser Messgrößen kann das Computerprogramm zwei Modelle erstellen: Das eine zeigt, ob eine bestimmte Vogelpopulation überhaupt auf der Fläche vorkommt, das andere kann sogar die Individuenzahl darstellen.
Der Kiebitz: Ein Paradebeispiel für den heimischen Feldvogel
Zu den wichtigsten Vertretern der Vogelwelt in der Landwirtschaft gehört der Kiebitz. Kommt er im März aus seinem Überwinterungsgebiet zum Brüten, fühlt er sich besonders auf offenem Gelände wohl. Hier kann er alles überblicken und Feinde schnell ausfindig machen.
Auf kultivierten Flächen sind solche idealen Voraussetzungen selten gegeben. Mais, Weizen oder Raps wachsen zu schnell, sodass der Kiebitz keinen Überblick mehr hat. Deswegen muss er seine Jungen, sobald sie laufen können, aus dem Acker führen. Wenig bewirtschaftete Weiden eignen sich dafür am besten, da hier das Gras ungedüngt ist und dem Kiebitz wortwörtlich nicht über den Kopf wächst. Auf intensiv genutztem Grünland kann der Vogel sich kaum noch richtig bewegen, geschweige denn seine Feinde im Blick haben. Außerdem wird hier regelmäßig gemäht, was eine ernsthafte Bedrohung für den Vogel darstellt.
Da dieser Lebensraum für den Kiebitz immer geringer wird, geht sein Bestand zurück. Das Computerprogramm zeigt jedoch, dass die Vogelart bei günstigen Rahmenbedingungen vom Ackerbau profitieren kann. Denn die richtige Kombination aus Bewirtschaftung und angrenzenden Schutzgebieten mit extensiver Beweidung bieten die idealen Lebensbedingungen für den Kiebitz.
Verschiedene Arten benötigen verschiedenen Lebensraum
Was für die einen Feldvögel eine lebenswichtige Umgebung ausmacht, ist für andere unattraktiv. Goldammer oder Neuntöter bevorzugen eher strukturreiches Terrain, mit Baumgruppen und Büschen, in denen sie zur Ruhe kommen. Rotmilan, Braunkehlchen und Grauammer wiederum fühlen sich auf großen Weiden heimisch.
Durch die verschiedenen Ansprüche, die Feld- und Wiesenvögel an ihre Umwelt stellen, wird schnell klar, dass es keine einheitliche Maßnahme zum Artenerhalt geben kann. Je mehr Vogelarten betrachtet werden, desto komplexer ist das Modell, das entsteht: Seine Aussagekraft wird stärker, je mehr Variablen man einbezieht. Dadurch ist eine ganz spezielle Förderung bestimmter Gebiete möglich, indem die Population der Wiesenvögel und deren Ansprüche berücksichtigt werden. In Bezirken, in denen die Kiebitzpopulation hoch ist, können zum Beispiel besonders die Weidenbereiche angepasst werden, die an die Äcker grenzen. Kommt in einer Gegend eher die Goldammer vor, kann man darauf mit der Anpflanzung von Büschen rund um das Feld reagieren.
Die moderne Technik kann uns unterstützen, die Artenvielfalt auf unseren Wiesen und Feldern zu erhalten. Die Computersimulation der Hochschule Rottenburg und der Justus-Liebig Universität Gießen liefert bedeutsame Daten, die für den Bestandsschutz unserer einheimischen Vögel sehr wichtig ist. Die Zusammenführung der Vogelmessdaten mit den Gegebenheiten des Ackerlandes gibt Aufschluss darüber, wie die Bewirtschaftung die Lebensumstände der Tiere beeinflusst. Somit bietet das Projekt Möglichkeiten zur Förderung biologischer Vielfältigkeit. Das erlaubt es, ganz nach Gegebenheiten, individuelle Maßnahmen zur Erhaltung des Vogelbestandes zu ergreifen.
Foto: © uschi dreiucker / pixelio.de
2 Comments
Ist dieses Computerprogramm für Naturgruppen, Vereine u.a. irgendwo erhältlich?
Lieber Herr Lückert,
vielleicht kann Ihnen der Projektleiter, Prof. Dr. habil. Thomas Gottschalk von der Hochschule Rottenburg, diese Frage beantworten. Schreiben Sie doch eine E-Mail an Gottschalk(at)hs-rottenburg.de.
Viel Erfolg wünscht die Redaktion!