Vögel im Märchen: eine abwechslungsreiche Sammlung, die von hässlichen Entlein über klebrige Gänse bis hin zu verzauberten Raben reicht.
Tiere spielen im Märchen eine wichtige Rolle. Oft werden Helden von bösen Mächten in eine tierische Gestalt verwandelt und müssen dann erlöst werden – man denke nur an den „Froschkönig“ oder den Bären in „Schneeweißchen und Rosenrot“. In anderen Märchen sind Tiere die sprechenden Begleiter der menschlichen Figuren oder spielen sogar selbst die Hauptrolle. Auch Vögel, ob groß oder klein, sprechend oder stumm, kommen in vielen deutschsprachigen Märchen vor. In unserer kleinen Sammlung spüren wir der Symbolik nach, die hinter den geflügelten Wesen steckt. Und vielleicht begegnen euch auch ein paar Märchen, die ihr vorher noch nicht kanntet.
Vögel im Märchen – Von Gänsen und Enten
Enten sind Wasservögel, bewegen sich aber auch an Land und in der Luft. Damit verbinden sie die verschiedenen Elemente und tauchen im Märchen oft im Zusammenhang mit Verwandlungen oder dem Übergang in eine andere Sphäre auf. „Hänsel und Gretel“ zum Beispiel lassen sich von einer weißen Ente über das Wasser nach Hause tragen. Und in „Die Bienenkönigin“ bringen Enten dem Helden den Schlüssel zum Zimmer der Königstochter von Grunde eines Sees herauf. Im Kunstmärchen „Das hässliche Entlein“ von Hans Christian Andersen ist ein Schwanenküken im Nest einer Ente gelandet und wird lange für sein Aussehen verspottet. Nach einigen Strapazen bekommt es schließlich sein schönes, weißes Gefieder und trifft auf Artgenossen. Die Geschichte ist ein Sinnbild dafür, sich zunächst ausgestoßen zu fühlen, aber trotzdem nicht den Mut zu verlieren, so dass die innere Schönheit irgendwann auch von außen sichtbar wird.
Abgesehen von dem Grimm’schen Märchen „Die goldene Gans“, in dem jeder, der das wundersame Tier berührt, daran kleben bleibt, spielen Gänse eher Nebenrollen. Sowohl „Die Gänsemagd“ als auch „Die Gänsehirtin am Brunnen“ sind unerkannte Königstöchter, die in ärmlichen Verhältnissen Gänse hüten. Weibliche Gänse wurden früher mit etwas sehr Mütterlichem assoziiert: Sie geben Fleisch, Eier und wärmende Federn und dienen dem Menschen als wachsame Beschützerinnen. So ist das Hüten bei der „Gänsemagd“ kein bloßer Broterwerb, sondern steht auch für die Verbindung zu ihrer fernen Mutter.
Vögel im Märchen – Geflügelte Hauptfiguren
Ein eher unbekanntes Märchen aus der Sammlung der Brüder Grimm ist „Der goldene Vogel“. Dieses geheimnisvolle Wesen taucht im Garten eines Königs auf und stiehlt seine goldenen Äpfel. Das entdeckt der jüngste Sohn des Königs und zieht los, um den Vogel zu suchen. Auf seinem Weg muss er viele Prüfungen und Abenteuer bestehen, immer begleitet von einem hilfsbereiten, sprechenden Fuchs. Der goldene Vogel hingegen ist stumm und steht eher für die Sehnsucht und das Ziel, das noch nicht erreicht wurde.
Ein weiterer Geheimtipp aus der Grimm’schen Sammlung: „Der Zaunkönig“. Im Märchen ist der kleine Vogel zunächst noch namenlos, doch er will unbedingt König aller Vögel werden und wendet so manche kluge List an. Bei den anderen Vögeln macht er sich damit allerdings nicht besonders beliebt, so dass er sich am Ende in den Zäunen versteckt und den Spottnamen Zaunkönig erhält.
„Die sechs Schwäne“ (Variante: „Die wilden Schwäne“ von H. C. Andersen) und „Die sieben Raben“ haben ähnliche Schicksale zu erdulden. Sie sind verzauberte Brüder, die als Vögel ihr Dasein fristen müssen, bis ihre einzige Schwester sie nach einer Reihe von Prüfungen erlöst. Während Schwäne für etwas sehr Reines und Unschuldiges stehen, hatten Raben früher einen noch viel schlechteren Ruf als heute. Sie wurden mit Tod und Unglück in Verbindung gebracht. Schließlich tauchten sie als Aasfresser überall dort auf, wo Menschen gestorben waren, zum Beispiel auf dem Schlachtfeld oder am Galgen. Begriffe wie „Unglücksrabe“ oder „Galgenvogel“ gehen auf diese Zeit zurück. Auch „Rabenschwarz“ ist keine bloße Farbbezeichnung, sondern steht für etwas Düsteres, Bedrohliches.