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Yossi Leshem im Gespräch – Zugvögel für den Frieden in Nahost

Yossi Leshem im Gespräch – Zugvögel für den Frieden in Nahost

Dass Vogelforscher als langweilig verschrien sind, ist in vieler Hinsicht ungerecht. Am wenigsten zutreffend ist es sicherlich für den israelischen Ornithologen Dr. Yossi Leshem. Mit seinem Projekt „Zugvögel kennen keine Grenzen“ kämpft der Forscher und Dozent in Israel, Palästina und Jordanien für den Umweltschutz und den Frieden. Wir durften diesen bemerkenswerten Mann interviewen.

Dr. Yossi Leshem: Projekte und Erfolge

Wir kennen Israel als politischen Krisenherd und als heiligen Ort vieler Religionen. Kaum einer sieht jedoch die Verbindung zwischen Israel und Umwelt- oder Vogelschutz. Dr. Yossi Leshem versucht das zu ändern. Der israelische Ornithologe und frühere Leiter der Gesellschaft für Naturschutz in Israel (SPNI) setzt sich mit eigenen Ideen für die Artenvielfalt ein. Dabei beschränkt er seine Arbeit nicht nur auf Israel, sondern sorgt im Namen des Vogelschutzes auch für Kooperationen mit Palästina, Jordanien und dem gesamten Nahen Osten. Kein einfaches Unterfangen. Teil des Erfolgsgeheimnisses von Yossi Leshem ist es, dass er meist mehrere Ziele mit seinen Aktionen verfolgt. Es geht ihm sowohl um Vögel als auch um Menschen.

Yossi Leshems Projekt „Zugvögel kennen keine Grenzen“ (Migrating Birds Know No Boundaries) verfolgte sowohl die Erforschung von Zugvögeln als auch die Völkerverständigung. Das Projekt fand zwischen 1998 und 2004 an israelischen, jordanischen und palästinensischen Schulen statt, auch Partner in den USA waren involviert. Zusammen besuchten die Schüler ornithologischen Unterricht, analysierten die Flugrouten von Weißstörchen, Kranichen und anderen Arten, und arbeiteten gemeinsam an Vogelstationen. In einer Informationsbroschüre über das Projekt schreiben die Organisatoren, dass gerade der Kontakt der Zivilbevölkerung durch solche Projekte die Versäumnisse der Politik in dieser Region wettmachen könnte. Bei „Zugvögel kennen keine Grenzen“ geht es darum, pragmatisch zu handeln anstatt idealistisch zu denken.
Während der Arbeit an dem Projekt kämpften die Forscher mit vielen Hindernissen wie etwa fehlenden Einreisegenehmigungen. Das zweite große Aufflammen des Nahost-Konflikts im Herbst 2000 drohte gar das gesamte Projekt zu zerstören. Aber die Arbeit lief weiter – auch dank der anhaltenden Unterstützung der Universität von Tel Aviv, der SPNI, des Bundesministeriums für Umwelt und des Max-Planck-Instituts für Ornithologie in Radolfzell.

Auch andere Projekte Yossi Leshems hatten einen Doppelnutzen: Die Entwicklung eines Vogelradars für israelische Militärflieger etwa rettete nicht nur zahlreiche Vogelleben, sondern verhalf dem Militär zu Einsparungen von einer Milliarde Dollar bis heute. Dank Yossi Leshems Arbeit sind die Kollisionen von Vögeln mit Flugzeugen um 76% zurückgegangen. Daneben leitete Leshem eine Kampagne für den Einsatz von Schleiereulen (siehe Bild oben) und Turmfalken zur Schädlingsbekämpfung. Davon profitierten Vögel und Menschen auf beiden Seiten der Grenze.

Interview mit Yossi Leshem

Vogel und Natur hat den umtriebigen Vogelforscher zu seiner Arbeit interviewt. Im Gespräch über die Lage des Umweltschutzes in Israel und die Völkerverständigung zeigt sich Dr. Yossi Leshem locker und enthusiastisch. Die Übersetzung des Gesprächs lesen Sie hier.

Vogel und Natur: Auf uns Europäer wirkt der Nahost-Konflikt wie eine große Hürde für den Naturschutz. Was hat Sie überzeugt, dass der Vogelschutz als gemeinsames Ziel der Völkerverständigung dienen könnte?

Dr. Yossi Leshem: Ich habe das Projekt „Zugvögel kennen keine Grenzen“ entwickelt, da Zugvögel ohne „Staatsangehörigkeit“ uns Menschen helfen können, zusammenzuarbeiten. Tatsächlich ist das Konzept bisher in circa 300 Schulen aufgegangen, genau so wie unser Schleiereulen-Projekt.

V&N: Während Wissenschaftler verschiedener Länder häufig kooperieren, werden neue Technologien nicht so oft zwischen kriegsführenden Staaten ausgetauscht. Wie haben Sie es geschafft, Palästinenser und Jordanier zu überreden, die Methoden der Israelis zu übernehmen, wie etwa das Radar-Warnsysteme gegen Vogelschlag

Leshem: Das Internet ist wahnsinnig wichtig dafür, Wissen zu verbreiten. Unsere Webseiten sind frei für jeden zugänglich, und genauso ist es mit den Nestkameras für Schleiereulen, Rötelfalken und Mauersegler. Die Breite der verfügbaren Informationen ist einzigartig, das macht es für unsere Nachbarn einfach, solche Vorschläge anzunehmen.

V&N: Munitionskisten als Nistkästen, Schleiereulen und Turmfalken als Schädlingsbekämpfer – woher nehmen Sie den Mut für solche tollkühnen Projekte?

Leshem: Als Professor an der Universität von Tel Aviv und als Mitarbeiter der Gesellschaft für Naturschutz in Israel habe ich das Glück, dass mein Hobby mein Beruf ist. Ich genieße jeden Augenblick meiner Arbeit! Jetzt gerade [Mitte April 2014] findet ein Seminar für 37 Lehrer – Palästinenser und Israelis – in Jordanien statt und wir arbeiten zusammen wie die besten Freunde! Nur die Politik versagt!

V&N: Welchen Status hat Umweltbewusstsein im heutigen Israel? Wie stehen Israelis zu ihrer natürlichen Umgebung – besonders in den Krisenregionen?

Leshem: Die Bewegung für Vogelbeobachtung und Umweltbewusstsein hat hier richtig Fahrt aufgenommen. Die Regierung hat uns gerade 12 Millionen Dollar für sieben neue Vogelbeobachtungs-Zentren gegeben – wohlgemerkt, nach 5 Jahren Überzeugungsarbeit. Wir betreiben eine Menge PR-Arbeit zu unseren Projekten wie man auch an diesem CNN-Artikel aus der letzten Woche sieht.

V&N: Wie gehen Sie mit den unterschiedlichen Kulturen und Religonen Ihrer Mitarbeiter um? Wie überzeugen Sie etwa Muslime, Eulen zu schützen, obwohl diese in der muslimischen Tradition als Unglücksbringer verschrien sind?

Leshem: Das war sehr viel einfacher als erwartet! Als die muslimischen Bauern erfahren haben, wie das System funktioniert, haben sie es sofort akzeptiert.

V&N: Ihre Eltern sind vor den Nazis aus Deutschland geflohen. Haben sie bei Ihrer Berufswahl eine Rolle gespielt? Wie fühlen Sie sich bei der Zusammenarbeit mit deutschen Wissenschaftlern, etwa bei der Verfolgung der Zugrouten von Störchen?

Leshem: Meine Mutter wurde in Frankfurt geboren, mein Vater in Berlin. Ich persönlich blicke lieber in die Zukunft als in die Vergangenheit! Deutsche Wissenschaftler sind hervorragend, zum Beispiel meine Kollegen Prof. Dr. Peter Berthold, Prof. Dr. Franz Bairlein und Prof. Dr. Martin Wikelski vom Max-Planck-Institut für Ornithologie sowie der ehemalige WWF Deutschland Präsident Carl-Albrecht von Treuenfels, ein ausgezeichneter Naturschützer. Es ist für mich eine Ehre, mit ihnen zusammenzuarbeiten!

Wir danken Yossi Leshem für das Gespräch!

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